Buchtipps
Täglich neu geboren werden
Stichwort
Lebenskunst
Der Begriff „Lebenskunst“ ist beliebig verwendbar. Er wird inzwischen
gern genutzt, um Ratgebern aller Art den Anschein besonderer Qualität
und außergewöhnlichen Tiefgangs zu geben. Gehaltvoller wird es
in der Regel, wenn es um die philosophische Lebenskunst geht, jene praktische
Philosophie seit der Antike, die in unseren Tagen wieder entdeckt wurde. Was
sie zu leisten im Stande ist, präsentiert auf hervorragende Weise das
„Lexikon der Lebenskunst“ von Andreas Brenner und Jörg Zirfass.
Das Buch eignet sich gut für besinnlich-philosophische Mußestunden.
Inhaltlich anspruchsvoll, sprachlich elegant und lebenspraktisch orientiert
bringt es die Existenz des Menschen in heutigen Kontexten philosophisch zum
Sprechen. Markante Literaturhinweise verführen zum Weiterlesen. Ähnlich
ist auch das Buch „Die Sandalen des Empedokles“ gestrickt, eine
„kleine Philosophie des Alltags“ von Norbert Wokart. Hier werden
die Stichworte der Lebenskunst bestimmten Themenfeldern zugeordnet. Die Leinenausgabe
des Buches hieß mal „Die Welt im Kopf. Ein Kursbuch des Denkens“.
So zeigt der Autor vor allem, dass entscheidend ist, wie wir Dinge zueinander
ordnen und dadurch bewerten. Durchbuchstabiert an den Alltäglichkeiten
unseres Lebens. Es ist nicht verwunderlich, dass Philosophen in den Büchern
mit ihren lebensbezogenen Überlegungen zu Wort kommen. Nicht selten spielt
das Zitat der antiken Philosophen eine tragende Rolle. Daher bietet es sich
an, vielleicht gleich die Dialoge Platons erneut zu lesen. Für alle,
die sich keine Zeit mehrere hundert Seiten nehmen und die sich das Verständnis
erleichtern wollen, bieten sich „Platons große Dialoge“
in der Kurzfassung von Gerhard Fink an. So werden Sokrates, der Urvater der
philosophischen Lebenskunst, und sein Schüler Platon noch prägnanter
sichtbar. Ein anderer antiker Philosoph, auf den für die Lebenskunst
zurück gegriffen werden kann, ist Heraklit. In seinem Buch „Was
würde Heraklit tun?“ hat Roger von Oech Weisheiten des Philosophen
genutzt, um Lebensaspekte auszuleuchten und mit Anschlussfragen den Lesern
aufzubereiten. Jeder kennt den Spruch von Heraklit „alles fließt“.
Hier wird er als taugliche Lebensweisheit erschlossen. Ein zentraler Philosoph
der Lebenskunst in der Neuzeit ist Michel de Montaigne, gestorben 1592. Er
ist der Erfinder des modernen Essays und der pointierten, auf die eigene Existenz
gerichteten philosophischen Betrachtung. „Montaigne für Gestresste“
in einer Auswahl von Uwe Schultz bietet Impulse, selbst dieses Philosophieren
zu erlernen. Wie so ein Philosophieren vor sich gehen kann, kann auch gut
an Friedhelm Mosers „Kleine Philosophie für Nichtphilosophen“
abgeschaut werden. Wichtig ist es, die Hemmung zu verlieren und sich das geordnete
Nachdenken über das eigene Leben zu ermöglichen, mit der ganzen
Neugier eines Flaneurs, der zum ersten Mal eine Stadt besichtigt und alles
über ihre Geschichte, Strukturen und ihre Grundwerte wissen will. So
legt Moser seine kleine Philosophie an und so können die Leser bei der
Lektüre lernen, es ihm gleich zu tun. Als Ziel der Lebenskunst wird häufig
das Lebensglück ausgegeben, doch nach philosophischer Lesart ist das
nur möglich in der Form des guten Lebens. Nur dann kann der Mensch seinen
Frieden finden, wenn ihm das gute Leben glückt und das Glück das
Gute umfasst. Im „Lesebuch für Nachdenkliche“ haben Gerd
Becher und Elmar Treptow dazu Texte aus der Philosophie- und Geistesgeschichte
unter dem Titel „Vom Frieden der Seele“ versammelt. Ein Band,
der bereits einmal bei Diederichs veröffentlicht wurde. Friede der Seele
will auch das „Buch der Lebenskunst“ von Anselm Grün vermitteln,
das kurze Passagen aus seinen Büchern zu einem Lesebuch vereint. Grün
nennt seine Lebenskunst „geerdete Spiritualität“. Eine Erweiterung
der philosophischen Lebenskunst zur mystischen Lebenskunst, wie sie nicht
nur einem Mönch gut zu Gesicht steht. Es geht darum zu leben statt gelebt
zu werden. Wer der materiellen und immateriellen Wurzel seiner Existenz gewahr
wird, kann aus seinem Leben ein Kunstwerk werden lassen. Spirituell kann man
täglich neu geboren werden.
Dr. Norbert Copray
Rezensierte Bücher:
Gerd Becher: Vom Frieden der Seele.
dtv 30846.
Andreas Brenner/Jörg
Zirfas: Lexikon
der Lebenskunst. RBL 20015.
Gerhard Fink: Platons
große Dialoge.
SP 3353.
Anselm Grün: Buch der Lebenskunst.
Herder. 222 Seiten.
Uwe Schultz (Hg.): Montaigne
für Gestresste.
it 2845.
Friedhelm Moser: Kleine
Philosophie für
Nichtphilosophen. bsr 1439.
Roger von Oech: Was
würde Heraklit tun? O.W.Barth. 175 Seiten.
Norbert Wokart: Die Sandalen des Empedokles.
AtV 8056.
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