Buchtipps
Training der Seele jenseits seichter Ratgeber
Stichwort
Lebenskunst
Philosophie liegt im Trend. Allerdings nicht die akademische Philosophie,
sondern die Philosophie der Lebenskunst. Damit greift das öffentliche
Interesse auf, was in der akademischen Philosophie verloren und vergessen
worden war. Pierre Hadot hatte 1991 mit der deutschen Übersetzung seines
bereits 1981 in Frankreich erschienenen Buches "Philosophie als Lebensform"
für den Auftakt gesorgt. Die Bewegung der philosophischen Cafés,
die Marc Sautet ausgelöst und in seinem Buch "Ein Café für
Sokrates" aufgezeichnet hatte, tat ein Übriges. Geradezu begierig
nahm das Lesepublikum Wilhelm Schmids "Philosophie als Lebenskunst"
auf. Nicht zu vergessen Rudi Otts Buch "Wertvoller als alles Gold ist
die Seele".
Wer zu Wilhelm Schmids neu erschienenem Buch "Auf der Suche nach einer
neuen Lebenskunst" gegriffen hat, um die weitere Entwicklung zu verfolgen,
wird enttäuscht. Schmid legt seine bereits 1991 erschienene Studie über
"Die Frage nach dem Grund und die Neubegründung der Ethik bei Foucault"
wieder vor. Gleichwohl lassen sich hier die Vorüberlegungen und Wurzeln
finden seiner Grundlegung einer "Philosophie der Lebenskunst" zurück
verfolgen. Unter Lebenskunst wird oft die Anleitung zur rechten Lebensführung
und zur Gestaltung des Lebens verstanden. Doch dieses Feld hat weitgehend
die psychohygienische Ratgeberliteratur mit den bekannten esoterischen Einsprengseln
besetzt, die oft ebenso seicht wie gebetsmühlenartig daher kommen. Das
Ungenügen an diesen pseudohilfreichen Ratschlägen, die sich bei
klarem Verstand jeder Mensch kostenfrei selbst geben kann, führt denn
auch zu einer Lebenskunst, die nicht Anpassung, sondern Selbstbestimmung,
Selbstsorge und Widerstand gegen die Normierung durch das Normale mit sich
bringt. Daher muss die Psychologie als unzureichende Lebenskunst in Richtung
einer Ethik überwunden werden, die die Forderung der Aufklärung
einlöst, "sich selbst führen zu lernen und die Sorge um sich
nicht anderen zu überlassen" (Schmid). Die Lebenskunst begründet
also auch eine neue Ethik.
Philosophische Lebenskunst bringt eine Renaissance der antiken Philosophie
mit sich, die vor allem Christoph Horn in seinem Buch "Antike Lebenskunst"
trefflich darzustellen und zu strukturieren weiß. Was in der Antike
als "Training der Seele" und "Einübung ins Sterben"
bezeichnet wurde, findet sich auch in den biblischen Büchern Kohelet,
Hohelied, Weisheit und Jesus Sirach, die im Band der Reihe "Bibel 2000"
prächtig und mit vielen Zusatztexten aufbereitet wurden. Josef M. Werle
hat die "Klassiker der philosophischen Lebenskunst" von Sokrates
bis heute in einem Lesebuch zusammengestellt, was das Suchen und eine Bibliothek
ersparen kann. Fortsetzung findet diese Auswahl in dem Band "Der Sinn
des Lebens", der mit diesem Akzent eine reichhaltige und klug geordnete
Textsammlung anbietet. Achtsam für die einfachen Alltagsvollzüge
macht Bruno Dörings "Lebenskunst", die die Spiritualität
der Lebenskunst praktisch werden lässt. Herbert Kessler inspiziert in
seiner "Philosophie als Lebenskunst" verschiedene wichtige Aspekte
akademischer Philosophietradition, die sich jedoch nicht zu einem Ganzen fügen
wollen und in ihrer Anordnung nicht schlüssig wirken.
Ohne Michael de Montaigne (1533-1595) hätte es in der Neuzeit keinen
Neubeginn der Philosophie als Lebenskunst gegeben. Insofern ist der imposante
Band "Essais" ebenso zeitgeistig wie für den Boom der philosophischen
Lebenskunst stimulierend erschienen. Hier können wir sehen, wie das Philosophieren
dem Selbstverständnis und der Selbstbestimmung nutzt. Wem das zu starke
Kost ist, beginne mit dem vorzüglichen Band von Frieder Lauxmann "Das
Philosophische ABC". Montaignes Essais nicht unähnlich greift Lauxmann
alte Einsichten auf, um sie sich für sein Selbst-, Zeit und Weltverständnis
neu anzueignen. Da bleibt nur noch, selbst sein eigenes philosophisches ABC
zum eigenen Lebens zu schreiben.
Dr. Norbert Copray
Rezensierte Bücher:
Bruno Döring: Lebenskunst. Oder vom achtsamen Umgang mit sich,
mit anderen und der Natur. Kösel. 166 Seiten.
Christoph Fehige/Georg Meggle/ Ulla Wessels (Hg.): Der Sinn des Lebens. dtv 30744.
Christoph Horn: Antike Lebenskunst. BsR 1271.
Herbert Kessler: Philosophie als Lebenskunst. Academia. 409 Seiten.
Frieder Lauxmann: Das Philosophische ABC. dtv 30751.
Michael de Montaigne: Essais. Eichborn.
574 Seiten. Großformat. 3 Bände im Schuber. Btb.
Wilhelm Schmid: Philosophie der Lebenskunst. stw 1385. Auf der Suche nach einer neuen Lebenskunst. stw 1487.
Josef M. Werle (Hg.): Klassiker der philosophischen Lebenskunst. Goldmann 7693.
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