Buchtipps
Eine andere Welt ist möglich
Horst-Eberhard
Richter
Das Ende der Egomanie
Die Krise des westlichen Bewusstseins. Kiepenheuer & Witsch. 220 Seiten.
Durch
die Attentate vom 11. September 2001 in den USA sah sich die westliche Wertegemeinschaft
herausgefordert. Es gelte, die westlichen Werte gegen barbarischen Terrorismus
zu verteidigen. Was dem Westen seine Freiheit, seine Gerechtigkeit und
seine
Würde wert sei, gelte es, unter Beweis zu stellen und die Schurkenstaaten'
zu lehren. Gemeint waren finanzielle, sicherheitspolitische und militärische
Anstrengungen, die den Feinden westlicher Werte den Schrecken beibringen würden.
Doch weder lässt sich mit Schrecken von Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit
überzeugen noch können die Freiheit und Gerechtigkeit des Westens
die Freiheit und Gerechtigkeit aller sein. Was für egomanische Menschen
gilt, gilt auch für egomanische Wertegemeinschaften: Sie halten ihren
Maßstab ungeprüft für den allein seligmachenden Maßstab
für alle. Zum egomanischen Verhalten gehört die völlige Immunität
gegenüber Selbstzweifeln und fremder Kritik. Egomanie ist im Prinzip
die Abwehr jeglicher Einsicht in die eigene Zwiespältigkeit und Begrenztheit
durch Selbstüberschätzung und Bemächtigungsgehabe.
Horst-Eberhard Richters Buch über "Das Ende der Egomanie" ist
eine engagierte und weitsichtiges Analyse eines Krisenprozesses, der durch
die Reaktionen auf den 11. September offenkundig geworden ist, sich aber zuvor
bereits angekündigt hat. Wie ein Erdbebenforscher ist Richter in der
Lage, die Erschütterung des westlichen Geistes auszumachen und die Spaltung
der westlichen Wertewelt sichtbar werden zu lassen. Für Richter symptomatisch
erkennbar in der Achse der militanter Globalisierung von Bush über Blair
bis zu Schröder auf der einen Seite und den pazifistischen und ökologischen
Strömungen bis hin zur Globalisierungskritikbewegung attac auf der anderen
Seite.
Mit psychoanalytischen, philosophischen und sozialwissenschaftlichen Mitteln
verfolgt Richter, wie das Individuum bei der Geburt seines Ichs über
die Stränge schlug. Wie bereits in seinem berühmten Buch "Der
Gotteskomplex" skizziert er noch einmal den "Versuch des Individuums,
die schützende himmlische Sicherung durch eine omnipotente Selbstsicherung
zu ersetzen". Die Vernunft wurde - auch in der Form ökonomischer,
militärischer, technischer Vernunft - als Instrument der Allmacht und
der schrankenlosen Bemächtigung entdeckt und vergöttlicht. Diese
Seite westlichen Bewussteins wurde mit Männlichkeit, mit Eroberung und
Herrschaft identifiziert. Das dabei abgespaltene Bewusstsein der Gefühle,
der Gegenseitigkeit und Abhängigkeit, der Anpassung und Einfühlung
wurde mit Weiblichkeit gleichgesetzt und aus gesellschaftlichen Steuerungsprozessen
ausgegrenzt. Es hätte auch die egomanischen Tendenzen gestört und
letztlich verunmöglicht.
Richter zeigt auf, wie sehr Bindungsfähigkeit, Dialog, Mitmenschlichkeit
und Wechselseitigkeit der Humus sind, in dem auch diejenigen wurzeln müssen,
die sich egomanisch die Welt unterwerfen. Sie wollen es nur nicht wahrhaben.
Richter führt beispielhaft Felder egomanischen Verhaltens vor: Ausrottungsmentalität,
Biomedizin, Doping. In neueren Untersuchungen entdecken er und seine Mitarbeiter
jedoch, wie die egozentrische und egomanische Haltung an Boden verliert. Mehr
Deutsche als vor sieben Jahren suchen wieder mehr langfristige Verbindlichkeit
in Beziehungen, Nähe, Ausgleich und erleben sich liebesfähiger.
Das sind "Spuren eines Einstellungswandels", noch keine Kehrtwende.
Die Ellenbogengesellschaft ist noch nicht am Ende. Aber Richter setzt auf
die Bewegung attac, auf praktische und treffsichere Reformvorstöße,
um der Globalisierung ein humanes Gesicht in der ganzen Welt zu geben und
das gespaltene Bewusstsein der westlichen Welt mit sich zu versöhnen.
"Eine andere Welt ist möglich", ist die Losung von attac. Richter
stimmt voll zu und macht Mut, Gerechtigkeit als Fairness anzusteuern, um "in
Gleichberechtigung und Ebenbürtigkeit untereinander zu teilen, aber auch
die Bedürfnisse der Kommenden zu berücksichtigen, zunächst
aber dafür zu sorgen, dass es die Kommenden überhaupt geben wird".
Dr. Norbert Copray
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