Buchtipps
Globalisierung auf Kosten anderer ist Barbarei
Stichwort
Gerechtigkeit
Das könnte den Herren der Welt ja so passen,
wenn erst nach dem Tode Gerechtigkeit wäre..., so lautete der wichtige
Vers eines modernen Kirchenliedes der siebziger Jahre. Was die Herren der
Welt ersinnen und exekutieren, hat mit Gerechtigkeit wenig, mit dem Funktionieren
für sie profitabler Globalstrukturen viel zu tun. Viele haben sich von
der Lösbarkeit des globalen Gerechtigkeitsproblems längst verabschiedet
und weisen es jenseitig orientierten Kirchen zu. Oder ein Präsident
Bush reklamiert für sich Gerechtigkeitsvorstellungen, die seinen Neoimperialismus
religiös bemänteln. Gerechtigkeit ist ein schwieriger Maßstab,
der nicht einfach mit ökonomischen Vorstellungen in Einklang zu bringen
ist. Darüber klärt das Buch „Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ von
Hans Diefenbacher auf, das solide, genau und ausführlich dem Verhältnis
zwischen Ethik und Ökonomie nachgeht. Ursprung, Bedeutungswandel und
Funktion der Begriffe Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit werden ebenso intensiv
dargestellt wie deren wechselseitiger Bezug in Theorie und Praxis untersucht
wird. So erbringt die Arbeit einen nachhaltigen Ertrag für die Diskussion,
aber auch die nüchterne Einsicht, dass die (Volks-) Wirtschaftslehre
derzeit nur eine sehr begrenzte Plattform abgibt, um sich über eine
erfolgreiche Verwirklichung von Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit zu verständigen.
Das sieht der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz auch nicht
viel anders, der „die Schatten der Globalisierung“ durch eine
harsche Kritik der US-dominierten Politik des Internationalen Währungsfonds
(IWF) sichtbar macht. Durch extreme neoliberale Positionen und Politiken
werden die Strukturen der globalen Räuberei verschleiert und ermöglicht
sowie die Interessen des Megakapitals bedient. Der ehemalige Chefvolkswirt
der Weltbank spart nicht mit Beispielen und Erfahrungen, um die ungerechte
Weltwirtschaftsordnung vorzuführen. Er hält die „Globalisierung
in ihrer heutigen Form für keine Erfolgsgeschichte. Sie hat das Schicksal
der meisten Armen nicht gelindert. Sie ist ökologisch bedenklich. Sie
hat die Weltwirtschaft nicht stabilisiert“. Daher muss die Art der
Globalisierung geändert werden. Denn „das 21. Jahrhundert könnte
den Armen tatsächlich eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung
bringen“, so Bill Emmont, Chefredakteur des Economist, in seinem Bestseller.
Ein eher beschönigendes Buch, was durch einen sehr weitläufigen
Blickwinkel zustande kommt. Emmont hätte am Buch von Stieglitz seine
Argumente schärfen können. So erhalten die Leser ein wachsweiches „Plädoyer
für einen skeptischen Optimismus“, der das „liberale Eintreten
für den Markt, den Kapitalismus und die Freiheit“ auf „intellektuelle
Demut“ angesichts unserer Unwissenheit zurück führt. Soll
das ein Ersatz für ethische Orientierung sein? Was dabei heraus kommt,
lässt sich in „Berichte aus der Kampfzone“ von Andrian Kreye
nachlesen. Die Reportagen des Korrespondenten der Süddeutschen Zeitung
markieren die Front, die mitten durch die Globalisierungsprozesse verläuft.
Naomi Klein, Autorin des Buches „No Logo“, geht mit ihren Berichten „Über
Zäune und Mauern“ vom Konkreten ins Grundsätzliche: „Wenn
die Barrieren für den Handel niedriger werden, erhöhen sich die
Barrieren für die Menschen“. Globale Gerechtigkeit ist zweischneidig.
Was die Besitzenden und Kapital Vermehrenden gerecht finden, nämlich
ihnen die Freiheit des Handels zu gewähren und für sie ungerechte
Reglementierungen abzubauen, müssen die Habenichts und Leidtragenden
als ungerecht ausbaden. Sie sind nur noch eine menschliche Ressource, aber
keine Menschen mehr. Sie stören, wenn sie nicht vermarktet werden können.
Die Bewegung der Globalisierungskritiker, Attac, ist dagegen zu Recht „Sand
im Getriebe“, wie Ruth Jung dokumentiert. Freiheit und Gerechtigkeit
sind nicht in erster Linie Begriffe derer, die sich alles erlauben und verschaffen
können. Freiheit und Gerechtigkeit sind unteilbar. Auf Kosten anderer
Gerechtigkeit einklagen ist ungerecht, ist getarnte Rechthaberei. Nur wenn
das Wohl aller Menschen Ziel der Globalisierung ist, trägt sie zur Humanisierung
bei, sonst zur Barbarei.
Dr. Norbert Copray
Rezensierte Bücher:
Hans Diefenbacher: Gerechtigkeit
und Nachhaltigkeit. Wissenschaftliche Buchgesellschaft. 368 Seiten
Bill Emmont: Vision 20/21. S.Fischer. 367 Seiten
Ruth Jung u.a.: Attac: Sand im Getriebe. Nautilus.
122 Seiten
Naomi Klein: Über Zäune
und Mauern. Campus.
303 Seiten
Andrian Kreye: Berichte aus der Kampfzone. Droemer.
286 Seiten
Joseph Stieglitz: Die Schatten der Globalisierung.
Siedler. 304 Seite
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