Internationales Fairness-Forum 2012sponsored by Verlag für die Deutsche Wirtschaft AG An Stelle einer heilen Welt-Kampagne geht es darum:
Um hier für mehr Durchblick und Entscheidungskompetenz zu sorgen, hat die Fairness-Stiftung in anderthalbjähriger Konzeptions- und Realisierungsarbeit ein neues Portal, den Fairness-Check, entwickelt. Dabei legen wir nicht unseren Maßstab an, sondern wir stellen die Fairness-Versprechen der Unternehmen selbst auf den Prüfstand". Dr. Copray erläutert den Gästen an Hand von www.fairness-check.de Grundanliegen, Vorgehensweise und Inhalte des neuen Fairness-Checks. Abschließend stellte er fest: "Sie sehen: Einerseits gibt es eine Fülle von Information. Doch wenn ein Einzelner dies erst zusammentragen würde, könnte er seinen Einkauf vergessen. Das nehmen wir Ihnen ab. Wir bieten die vielfältigen Informationen, Belege und Links zu jedem verfügbaren Gesichtspunkt an. Ziehen jedoch auch ein Fazit und vergeben grüne, gelbe und rote Karten, deren Überzeugungskraft man anhand der Belege im Fairness-Check selbst nachprüfen kann. Und es gibt graue Karten, wo es unserer Ansicht nach ein Unternehmen an Selbstverpflichtungen fehlen lässt und halbe rote Karten, wo wir die Stimmigkeit der Aussagen nicht prüfen können. Es gilt, wirklich und wirksamer werden zu lassen, was es heißt, fair zu produzieren, fair zu verkaufen und fair zu konsumieren. Damit wir morgen noch eine Erde haben, auf der wir nicht nur leben und atmen können, sondern auf der künftige Generationen das Leben lebenswert finden. Dinge des alltäglichen Bedarfs spielen dabei eine herausragende Rolle, denn sie stellen den größten Anteil am Konsum, an der Produktion und am Verkauf. Sogenannte Grüne Wertschöpfung lockt auch Akteure an, die letztlich nur hinter unserem Geld her sind. Denn in diesem Bereich ist im Schnitt 10 % bis 30 % mehr Umsatz und oftmals auch entsprechend mehr Gewinn zu erzielen. Auch Lug und Trug nehmen zu: konventionell erzeugte Produkte werden ungerechtfertigt mit sogenannten Grünen Labels versehen, mit selbstgebastelten Bio- und Öko-Labeln. Im Gegenzug fordern Umwelt- und Klimapolitikakteure im Rahmen von Green Economy etwa beim RIO+20-Gipfel strengere Labels und Zölle, damit Waren nach neuesten Umweltstandards produziert werden. Ein neuer Wachstumsbegriff müsse entwickelt und durchgesetzt werden, der über den Grünen Kapitalismus hinausgehe und sich nicht am Ressourcenverbrauch fest mache. Soll das alles durch fairen Konsum, durch fairen Verkauf und durch faire Produktion erreichbar sein? Geht das wirklich fair?" Zur Anmoderation des ersten Redners sagte Dr. Copray: "Er ist ein Pionier der ersten Stunde und Experte für fairen Handel mit benachteiligten Produzentengruppen sowie für soziale Mindeststandards im internationalen Handel allgemein. Dr. Martin Kunz. Er ist seit mehr als 15 Jahre Co-Vorsitzender des Anlagenausschusses der Ökovision, dem striktesten ethischen Investmentfonds in Deutschland. Er ist Ethical Sourcing Manager für Community Foods Ltd., einem der größten Importeure für Bio- Lebensmittel in England. Mit über 30 Jahre Erfahrung im Fairen Handel, u.a. als erster Aufsichtsrat der gepa sowie erster Geschäftsführer der Fair Trade Siegelinitativen TransFair International (TFI) und FairTrade Labelling Organization (FLO) International, ist Dr. Martin Kunz eine Schlüsselfigur der globalen Szene fair erzeugter und gehandelter Produkte. Er hat die ersten Kriterien für Fair Trade besiegelten Tee entwickelt sowie für fair gehandelte Sportbälle. Aktuell betreut er vor allem die Lieferketten für fair gehandelte Gummiprodukte und ist sehr engagiert für fair gehandelten Naturkautschuk. Seit mehreren Jahren ist sein Hauptarbeitsbereich der Aufbau von Lieferketten für fair gehandelte zertifizierte Gummiprodukte. Warum das besonders wichtig ist und warum es immer noch keinen fair gehandelten Autoreifen gibt, kann er Ihnen gleich selbst sagen. 2004 gründete er zusammen mit James Lloyd "FairDeal Trading", was mit zertifizierten und fair gehandelten Fußbällen begann. Fragen kommen auf. Findet sich das Grundanliegen von Faire Trade noch wieder in dem, was heute in diesem Feld geschieht? Bürden die Zertifizierungen den Herstellern nicht ungebührliche Gebühren auf? Ganz abgesehen vom Verwaltungsmehraufwand. Zertifizierungskolonialismus, nennen es einige Kritiker. Und warum kann ich als Kunde nicht an einer fair gehandelten Packung Kaffee, an einem fair gehandelten Fußball, an einer fair gehandelten Orange ablesen, wie viel vom Endpreis der Anteil ausmacht, der beim Arbeiter, bei der Arbeiterin, beim Zwischenhändler, beim Zertifizierer, beim Endhändler landet? Seine Dissertation hat Dr. Kunz seinerzeit über Dritte Welt-Läden geschrieben, die heute meistens Eine-Welt-Läden heißen. Diese Dritte-Welt-Laden-Bewegung war gewissermaßen der Startschuss für ethische Lieferketten, direkt von herstellenden Genossenschaften, Bauern oder Kunstgewerblern hin zum Endverbraucher. Da, wo heute konsequent grün, öko, bio und fair gehandelt wird, sieht die Welt inzwischen anders aus. Doch da ist auch Wasser im Wein. Dass Fairtrade eher den Händlern als den Kleinbauern im Süden diene, dokumentierte der ORF-Redakteur Patrick Hafner in seinem kritischen Film zum Thema Fairtrade für die Sendung Weltjournal. Richtig Profit mit gutem Gewissen machen die Supermärkte - während die Fairtrade-Bauern von ihrem Lohn gerade einmal leben können, heißt es da. Nur 25 Euro mehr im Monat bekommt zum Beispiel eine Kaffeebäuerin in Nicaragua, die sich trotz Fairem Handel aber kein gescheites Essen leisten kann. Das erzählt die Frau. Hafner besucht eine Rosenplantage in Tansania, wo die Bauern knapp über dem staatlichen Mindestlohn bezahlt werden. Dafür bekommen sie Fußballtrikots und auch die Frauen können jetzt endlich bolzen! Hafner besucht in Costa Rica die größte Fairtrade-Bio-Ananas-Plantage der Welt. Auf der in riesigen Monokulturen arbeiten 400 Menschen. Sie klagen über Diskriminierung - und darüber, dass die Überprüfungen nur im Interesse des Unternehmens gemacht werden, nicht aber in dem der Arbeiter. Den Unternehmen, so sagt der Gewerkschaftsführer, ginge es nur um die Verbesserung des Images und die Markterweiterung. Auch hier bekommen die Arbeiter nur den staatlichen Mindestlohn. Gewerkschaftsmitglieder würden diskriminiert. Das ist sicher nicht im Sinne umfassender Fairness und eine Täuschung und Enttäuschung für alle, die guten Willens sind, sich fair orientieren und dafür auch mehr Geld ausgeben. Und jetzt will die Gepa auch noch auf das Faire Trade-Siegel verzichten und stattdessen mit "fair plus" selbst siegeln. Ein Siegel, das man sich selbst gibt? Das kommt in Mode, aber dient das der Sache? 200 Labels haben wir schon im Markt. Produkte in Weltläden bräuchten kein zertifiziertes Label, heißt es seitens der Gepa, weil dort alles aus fairem Handel stammt. Nur die Discounter und Supermärkte bekommen noch die fremd gelabelten Produkte. Werden jetzt - 50 Jahre nach dem Start in Europa - schon die Grenzen fairen Konsums, fairen Verkaufens und fairer Produktion sichtbar? Meine Damen und Herren, liebe Gäste, begrüßen Sie mit mir noch einmal Dr. Martin Kunz zu seinem Vortrag: Fairness zum Nulltarif gibt es nicht - Fairness hat seinen Preis!" Dr. Martin Kunz illustrierte an Hand seines jahrzehntelangen Engagements für fairen Handel und sozial verträgliche Lieferketten die Ziele und Erfolge, aber auch die Widersprüche und Rückschläge des fairen Handelns. Er stellte die für die Produzenten oft teuren Zertifizierungen, um ein Label zu bekommen, und den enormen Verwaltungsaufwand, der damit verbunden ist, kritisch auf den Prüfstand. Er zeigte den im Verhältnis zum globalen Umsatz mit global gehandelten Produkten den minimalen Anteil von fair gehandelten Produkten auf - und das bei jahrzehntelangen Anstrengungen. Und er demonstrierte an Beispielen fair gehandelten Kautschuks (Gummi) und fair gehandelter Bio-Baumwolle die Schwierigkeit und damit die Aufgaben, die noch zu bewältigen sind. Ein Problem ist auch die noch zu geringe Nachfrage nach fair gehandelten Produkten in den Industrieländern, so dass Bio-Tee-, Kautschuk- und Baumwollbauer zwar eifrig Ländereien und Produktionen zur Bio-Erzeugung und zu fairen Handel verändert haben, aber ihre Produkte oft nicht in gleichmäßig verlässlicher Menge auf dem Markt loswerden. Dass der ganze Bereich der globalen Transporte und damit die Speditionsbranche noch gar nicht im Blick fairen Handels und ökologischer Kriterien im Blick sind, merkte Dr. Kunz als offene Frage dieses Themenfeldes an. Zum zweiten Redner des Tages führte Dr. Copray unter anderem wie folgt hin: "Kathrin Hartmann, eine engagierte und kritischen, ethischen Kriterien verpflichtete Journalistin, stellte jüngst in einem Artikel fest: "Wer nicht selbstbestimmt anbauen und vermarkten kann, wer nur Rohstoffe liefert, verliert: denn der höhere Supermarktpreis kommt nicht bei den Produzenten an, sondern bei Zwischenhändlern, Werbeagenturen, Vertrieb. Je größer der Faire Handel wird, je größer die Handelsketten und Konzerne, die sich mit dem Siegel schmücken - desto unfairer wird er. Während Rebellen und kleine Initiativen, die die üblichen Verkaufsstrukturen umgehen, nur einen kleinen Markt bedienen und höhere Preise verlangen müssen". Ist es das, was letztlich nötig ist: die ganze Wertschöpfungskette in den Griff zu bekommen und sich nicht an Zertifizierer, Agenten, Zwischenhändler auszuliefern? So wie es Hess Natur versucht hat, das Naturtextilversandhaus, das jetzt in die Hände einer gewinnorientierten Schweizer Kapitalgesellschaft übergeht. So wie Graf Faber-Castell, der von den Plantagen für sein Holz bis zum Endprodukt Bleistift, der ein Graphitstift ist, alles selbst produziert und kontrolliert? So wie Sarah Wiener, die vom Acker bis auf den Teller alles selbst in einer Wertschöpfungskette selbst organisiert wissen und kontrolliert wissen will? Und wie die Herrmannsdorfer Landwerkstätten, wo Karl und Karl Ludwig Schweisfurth: "Handgemachte Lebensmittel in ökologischer Qualität" erzeugen? Und mit Karl Ludwig Schweisfurth, dem ehemaligen Besitzer der Herta AG, sind wir ganz nah beim radikalen Paradigmenwechsel, den Schweisfurth einst für sich vornehm. Angetrieben von kritischen Fragen seiner damals heranwachsenden Kinder und besorgt durch die Art und Weise des Umgangs mit Tieren für die Massenherstellung von Wurst und Fleisch verkaufte er Herta und baute mit dem Erlös 1985 die Schweisfurth-Stiftung und die Herrmannsdorfer Landwerkstätten auf. Ist jetzt alles besser? Auch dort werden Schweine und Hühner geschlachtet? Ist das fairer als vorher bei Herta? Es geht in der Schweisfurth-Stiftung darum, einer nachhaltigen, zukunftsweisenden Agrar-Kultur den Boden zu bereiten: durch Forschung, durch Bildungsarbeit, durch die Zusammenbringen von Denkern, Querdenkern, Vorausdenkern sowie Vorauspraktikern und Querhandelnden. Denn in ihrem Sinne strahlt "eine ökologisch und sozial verträgliche Agrar- und Ernährungskultur in alle Lebens- und Wirtschaftsbereiche aus. Zukunftsfähig sind kulturell begründete, ökonomisch lohnende, standortangepasste und regionale Entwicklungen des Agrar- und Ernährungssystems", heißt es dort. Wie ideal für uns, den langjährigen Vorstand der Schweisfurth-Stiftung, Prof. Dr. Franz-Theo Gottwald, bei uns zu haben. Er hat wie ich Theologie studiert (daher Dipl.-Theol.), hat wie ich auch Philosophie studiert und darin promoviert (daher Dr. phil.) und zusätzlich Sozialwissenschaften - ich auch - und Indologie, ich stattdessen Psychologie. Er ist neben seiner Vorstandsarbeit tätig als
Prof. Franz-Theo Gottwald erschloss das Thema im Blick auf die Lebensmittelproduktion und –handel. Er führte sinngemäß u.a. aus: Wir haben einen Wertewandel in den letzten 60 Jahren erfahren. In den 5oer Jahren ging es darum, genug zum Leben zu haben. In den 60er bis in die 70er und die 80er Jahre hinein ging es um mehr Qualität und Frische zu günstigen Preisen. In den 90er Jahren war der Boom der Discounter: billig, billig, billig. Mit Beginn des Jahrhunderts und der BSE-Krise 2002 wurden die bestimmenden Werte: Nachhaltigkeit und Unternehmensverantwortung. Treiber sind jetzt die großen Handelsunternehmen, nicht mehr in erster Linie die Erzeuger. Es entsteht eine Vielfalt treibender Werte, die mal von dem einen so, von einem anderen anders akzentuiert werden; Werte wie bio, regional, saisonal, slow, tiergerecht und fair, auch im Blick auf die Herstellung: handwerklich. Getrieben von den großen Handelsunternehmen, nicht mehr von den Pionieren und den Erzeugern. Prof. Gottwald führte näher aus: 1. Welche aussagefähigen und realistischen Standards gibt es? 2. Wie wird deren Einhaltung gesichert? 3. Welche Organisationsformen fördern faires Miteinander kettenübergreifend? 4. Wie gelingt die Kommunikation den Kunden gegenüber? Ein wichtiger Schritt in Richtung soziale Gerechtigkeit im Öko-Landbau wird momentan auch von den deutschen Verbänden getan. Dies wird insbesondere erkennbar an der Diskussion um faire Handelsbeziehungen, die angesichts des Wachstums der Branche auch dringend geführt werden muss. Naturland beispielsweise leitet die Kampagne "Faire Partnerschaften". Die sechs Kriterien zum Erhalt einer solchen Zertifizierung sind: soziale Verantwortung und langfristige Handelsbeziehungen in Erzeugung, Verarbeitung und Vermarktung, faire Erzeugerpreise und regionaler Rohstoffbezug sowie gemeinsame Qualitätssicherung und Unterstützung von Projekten vor Ort. Ziel sind fair gestaltete Handelsbeziehungen zwischen Unternehmen und Bio-Bauern, um die Existenz der bäuerlichen Familien in Deutschland, aber auch in anderen Erzeugerländern durch langfristige Handelsbeziehungen und faire Erzeugerpreise zu sichern. Mit dem Projekt "regional & fair" hat sich auch der Biokreis e.V. die Kommunikation der Begriffe Regionalität und Fairness auf Basis fester, seriöser Standards zur Aufgabe gemacht. Fairness in der Bio-Branche ist nicht nur im Hinblick auf faire Erzeugung und Handelsbedingungen mit Ländern der so genannten Dritten Welt ein aktuelles Thema, sondern auch im Umgang mit heimischen Erzeugern. Der hohe Konkurrenzdruck der Branche und die enorme Nachfrage haben dazu geführt, dass die Bio- Bauern immer größere Mengen zu immer niedrigeren Preisen produzieren müssen. Insbesondere der Preisdruck durch die Discounter spielt hier eine enorme Rolle. Preisdumping, Kürzungen staatlicher Zuwendungen und die fortschreitende Globalisierung sind nur einige der Probleme, denen heimische Produzenten gegenüber stehen. Die neuen Partnerschaften, Allianzen, Handelskanäle und Vertriebswege sollten stärker daraufhin überprüft werden, ob sie auch langfristig den dem Ökolandbau zugrunde liegenden Werten gerecht werden können. Nicht nur die Erzeuger und der Handel sind angehalten, sich über ethische Werte und Maßstäbe in der Branche vermehrt Gedanken zu machen – auch der Verbraucher muss hier stärker in die Pflicht genommen werden. Fragen wie: Was sind mir gesunde Lebensmittel wert? Was ist mir eine intakte Landschaft wert? Wie wichtig ist mir die Würde der Tiere? müssen gesellschaftlich stärker diskutiert werden. Insbesondere den Medien kommt hier eine Schlüsselrolle zu. Bei den Konsumentinnen und Konsumenten muss ein Bewusstseinswandel stattfinden. Die Franzosen geben 30 % ihres Einkommens für Nahrungsmittel aus, während in Deutschland nach wie vor immer billigere Lebensmittel nachgefragt werden. Scheinbar billige Lebensmittel sind jedoch unter dem Strich meist sehr teure Lebensmittel, da verkannt wird, dass die Gesellschaft über die Steuern ein seit Jahren krankendes System mitträgt. Auch über die jährlich wiederkehrenden Tierseuchen und Lebensmittelskandale bekommt die Gesellschaft eine Quittung für den Billigwahn in der Lebensmittelwirtschaft.Die Bauern von einst waren Gestalter und Erhalter gleichermaßen, sie waren Begründer und Bewahrer von Traditionen und einem kostbaren Wissen über die vielfachen Abhängigkeiten der menschlichen Existenz innerhalb der Natur. Auch heute sind die Aufgaben einer (nachhaltig ausgestalteten) Landwirtschaft vielfältig: Sie produziert hochwertige Lebensmittel und Rohstoffe, schafft Naherholungsräume, gestaltet und erhält Lebensräume, schafft soziales Leben auf dem Land, schützt und nützt Agrobiodiversität. Es gestaltet sich unter den gegenwärtigen ökonomischen Zwängen schwierig, diese Multifunktionalität aufrechtzuerhalten. Dazu müssen die Landwirte erstens die Möglichkeit bekommen, all diese Funktionen auch wahrzunehmen, und zweitens muss die Wahrnehmung dieser Aufgaben entsprechend honoriert werden – politisch, vor allen Dingen aber auch gesellschaftlich. Der Verbraucher spielt hierbei eine wesentliche Rolle, der er sich zunehmend bewusst zu sein scheint. Immer häufiger ist in den Medien von »verantwortungsvollem Konsum« die Rede, von »Klimabilanz der Lebensmittel« und von »nachhaltigen Einkaufskörben«. Lebensmittelskandale wie BSE, Gammelfleisch, Dioxin und Ehec lassen das Vertrauen in die großindustriellen, globalen Gesamtzusammenhänge der Branche sinken. Zugleich gibt es eine wachsende Sehnsucht nach Echtheit, nach Verlässlichkeit, nach Nähe. Wer produziert wie was und zu welchem Preis? Dieser Trend manifestiert sich auf dem Markt: 37 % Prozent der Deutschen kaufen regelmäßig, 44 % Prozent gelegentlich Produkte aus der Region. »Ich möchte die Geschichte einer Speise kennen. Ich möchte wissen, woher die Nahrung kommt. Ich stelle mir gerne die Hände derer vor, die das, was ich esse, angebaut, verarbeitet und gekocht haben«, sagt Carlo Petrini, Gründer der Slow Food-Bewegung. Der Verbraucher als Co-Produzent, als verantwortlicher Entscheider, als informierter Interessierter – so wünschen sich Petrini und die Anhänger seiner Bewegung die Zukunft der Land- und Lebensmittelwirtschaft. Dass dieser Wunsch mancherorts bereits sehr erfolgreiche Realität ist, wagt man angesichts der Erfolge der Discounter kaum zu hoffen. Doch es gibt sie, die neue Wertschätzung für das Ursprüngliche, Echte. In erfolgreichen Kooperationen haben Städter und Bauern, Hochhäuser und Höfe, Konsumenten und Produzenten zu einer ganz neuen Form der Allianz gefunden, deren Organisationsprinzip in der »Kooperation« liegt. In Deutschland gibt es derzeit mehrere Konzepte von Kooperationen zwischen Erzeugern und Verbrauchern, die sich zunehmender Beliebtheit erfreuen. Projekte wie Städter werden Bauern der Organisation Slow Food zeigen, dass es durchaus Menschen gibt, die Fragen nach der Herkunft von Lebensmitteln nicht nur beantwortet wissen möchten, sondern die Antworten selbst suchen und erleben möchten. Denn die wachsende Sehnsucht der Menschen nach einer neuen Esskultur, nach Sicherheit und Transparenz der kurzen Wege und nach einer Landwirtschaft und Agrar-Kultur, die diesen Namen tatsächlich verdient, hat zu verschiedensten Bewegungen geführt, die diese Art der Lebens-Mittelproduktion erfolgreich praktizieren. »Essen Sie nichts, was Ihre Großmutter nicht als Essen erkannt hätte« lautet der Untertitel des 2011 erschienenen Buches des us-amerikanischen Erfolgsautors Michael Pollan. Diese Gesellschaft, zutiefst verunsichert vom Überfluss, von einer mitunter aggressiven Lobby und einer untätig scheinenden Politik, will nicht länger schlucken, was man ihr auftischt. Die Schaffung einer umwelt-, tier- und menschengerechten landwirtschaftlichen Produktion und Bewusstseinsbildung für einen nachhaltigen Konsum- und Lebensstil sind wichtige Pfeiler für nachhaltige Entwicklung. Das Ziel, die bäuerliche Landwirtschaft vor dem Verschwinden zu bewahren und gleichzeitig gute, ökologisch und fair hergestellte Lebensmittel zu produzieren, mag ehrgeizig sein. Aber der Wert, der von diesen Kooperationen generiert wird, geht weit über den ökonomischen Nutzen hinaus: Verständnis, Vertrauen, Rücksicht und Respekt vor dem anderen und seinen Leistungen können dauerhaft ein Klima der gegenseitigen Wertschätzung etablieren, das in den vergangenen Jahrzehnten im Zuge der Industrialisierung und der einhergehenden Entfremdung zwischen Land und Stadt leider zunehmend verloren gegangen ist.Im Podiumsgespräch stritt Sarah Wiener leidenschaftlich für eine grundsätzlich neue Orientierung für unseren Umgang mit der Erde, mit Tieren, mit den Ressourcen. Auch mit den Mitarbeitern und mit uns selbst. Wir seien es uns selbst schuldig, darauf zu achten, dass Lebensmittel wirklich Lebens-Mittel, dass Ernährung auch etwas mit Genuss und Befriedigung zu tun hätten. Jenseits einer fairen und damit rücksichtvollen Vorgehensweise bei der Erzeugung von Nahrung - bis hin zur artgerechten Tierhaltung, von Zubereitung der Speisen, beim Essen sei eine gesunde Lebensweise gar nicht vorstellbar. Das bedeute nicht, dass sofort alles auf diesem Weg gelänge. Sie habe auch viele Fehler, viele Erfahrungen machen müssen, um einen Weg zu finden, der trägt und überzeugt. Sie zahle bis heute ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen nicht die Löhne, die sie eigentlich verdienten, denn ohne das Team sei die ganze Sarah Wiener GmbH nichts. Das Team sei das Uhrwerk, das alles am Laufen halte, so dass sie sich dadurch mit ihrem Anliegen und mit ihren Ideen und Anstößen bewegen könne wie der Zeiger auf dem Ziffernblatt einer Uhr. Wer könne, solle radikal beim Umbau hin zu einer fairen, ökologischen, sozial verantwortlichen und biologisch nachhaltigen Produktion vorgehen, entsprechend verkaufen, entsprechend einkaufen und möglichst selbst kochen. Doch auch kleine Schritte wie sie etwa durch das neue Label "Tierwohl" unter Mitwirkung des Deutschen Tierschutzbundes und etlicher Produktions- und Handelsunternehmen realisiert werden, begrüße sie sehr. Alles, was in die richtige Richtung gehe. Dr. Kunz stellte heraus, dass es wichtig sei, einerseits ambitioniert den Umbau zu fairer Produktion, zu fairem Verkauf, zu fairem Konsum zu verfolgen, andererseits bescheiden zu werden und zu bleiben, was das Ausmaß und die Reichweite dieses Prozesse angehe. Er habe gelernt, dass es zu vermessen sein, im fairen Handeln die Lösung für alle Weltprobleme zu sehen oder gar zu glaube, damit die Welt zu retten. Es sei schon eine enorme Leistung, 1,2 Millionen Bauern in den Entwicklungsregionen der Erde und insgesamt 6 Millionen Menschen sozial verträgliche Arbeit und ein auskömmliches Einkommen zu ermöglichen. Prof. Dr. Franz-Theo Gottwald verwies auf die Chancen, die sich durch Veränderungen und Einflüsse von allen Seiten ergäben. Und verwies noch mal auf das neue Label "Tierwohl", dass zwar vom hochgesteckten Ziel, was eigentlich sein sollte, noch weit entfernt sei, aber gegenüber dem, was bisher war und nicht getan und gedacht wurde, doch ein richtiger Fortschritt in die richtige Richtung sei. Der Druck käme vor allen Dingen aus den großen Handelsunternehmen, die sich immer mehr dem Gedanken der Nachhaltigkeit verpflichten und hier auch dem Kundenwunsch nachkämen. Er sehe durchaus zuversichtlich in die Zukunft der Antriebe, der Schritte und der Ziele des fairen Handelns und speziell der biologisch-ökologischen Landwirtschaft. Dr. Norbert Copray wies darauf hin, dass sich 100.000 Bürger in Deutschland sich ehrenamtlich für fairen Handel engagieren - und das oft schon über Jahrzehnte. Die wichtigsten Gründe für den Kauf von Biolebensmitteln sind eine artgerechte Tierhaltung (94 Prozent), die regionale Herkunft beziehungsweise die Unterstützung regionaler Betriebe (89 Prozent) sowie eine geringe Schadstoffbelastung (89 Prozent). Das ergab eine im Januar 2012 im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz repräsentative Umfrage zum Konsum von Bioprodukten in Deutschland. Das Fazit der Umfrage: Für deutsche Biokäufer gibt es immer mehr Gründe, zu Bio zu greifen. Zudem nehmen sich immer mehr Leute vor, künftig mehr oder aber überhaupt Bioprodukte zu kaufen. Die Umfrage ergab auch: 43 % würden mehr für Lebensmittel ausgeben, wenn sie gesundheitlich absolut einwandfrei wären; scheitert allerdings bei vielen am Geldbeutel, denn 45 % können sie teurere Lebensmittel nicht leisten. Laut einer Studie des Statistischen Bundesamtes stammen in Deutschland rund 98 Prozent aller verzehrten Tiere aus der Intensivtierhaltung beziehungsweise Massentierhaltung. Im Jahr 2010 seien insgesamt acht Millionen Tonnen (8 Milliarden Kilo) Fleisch erzeugt worden. Wenn jeder Bürger pro Woche einen vegetarischen Tag einlegt, müssten 160 Millionen Tier weniger geschlachtet werden. Sarah Wiener unterstrich nochmals, dass es nicht für die Tiere, sondern auch für die Menschen gesünder sei, weniger Fleisch, vielleicht nur zwei Mal die Woche, zu essen. Sie sei selbst nicht Vegetarierin, sehe aber in weniger Fleischkonsum einen wichtigen Beitrag zu einer fairen Lebensweise für Mensch und Tier, wozu jeder von uns beitragen könne. Dr. Copray dankte in seinem Schlusswort dem Engagement und den Beiträgen der Redner Prof. Dr. Franz-Theo Gottwald. Dr. Martin Kunz und - last not least - der Trägerin des Deutschen Fairness Preises 2012 Sarah Wiener. Er sagte unter anderem zu den über 300 Gästen: "Wenn Sie, meine Damen und Herren, in der Lage sind, uns in unserer Arbeit zu unterstützen, wären wir Ihnen sehr dankbar. Unser Budget ist sehr klein, aber wir stemmen große Dinge; teils mit ehrenamtlicher Arbeit, teils mit Selbstausbeutung. Wir haben mit dem Fairness-Check (www.fairness-check.de) ein neues tolles Projekt auf die Beine gestellt. Jetzt bitten wir um Ihre finanzielle Unterstützung, um es weiter auszubauen und langfristig zu sichern ". |
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