Mitgefühl im Zentrum der FairnessDer Fairness-Thementag im Haus am Dom. Auftakt der Fairness-Thementage am 23.9.2017. Zum Auftakt begrüßte Studienleiter Dr. Thomas Wagner die zahlreichen Teilnehmer seitens der Rabanus-Maurus-Akademie im Haus am Dom in Frankfurt am Main. In seiner Einführung griff Dr. Norbert Copray, Direktor der Fairness-Stiftung, zunächst das Buch des französischen Molekularbiologen, Zellgenetikers, Bestsellerautors und Buddhisten Matthieu Ricard "Allumfassende Nächstenliebe" mit der Erkenntnis auf, "dass der Altruismus den Menschen biologisch und evolutionär auszeichnet und die Chance für das Überleben der Menschheit ist. Der us-amerikanische Neurobiologe und Verhaltenspsychologe Donald Pfaff vertieft in seinem naturwissenschaftlich-sozialphilosophischen Buch "Das altruistische Gehirn" Ricards Beweisführung durch Erkenntnisse und Schlüsse aus der neueren neurowissenschaftlichen Forschung. Die These, der Mensch sei von Natur aus egoistisch, muss wissenschaftlich als überholt angesehen werden. Unser "Gehirn ist darauf gepolt, dass wir uns um andere kümmern" und sorgt dafür, "dass wir Gutes tun". Pfaff und Kollegen haben "den Altruismus nicht parallel zur Entwicklung einer religiösen Moral entdeckt. Er ist ebenso ein Teil von uns wie der Paarungstrieb oder der Wunsch, unsere Kinder zu beschützen". Pfaffs "Theorie vom altruistischen Gehirn" (kurz TAG) beschreibt, wie die menschliche Biologik Kooperation und Vertrauen ankurbelt und Ansätze bietet "für den Umgang mit schlechtem Verhalten" sowie mit Umwelt- und Sozialeinflüssen, die Altruismus unterminieren und psychopathologisches Verhalten prägen. Noch weiter zurück geht Michael Tomasello mit seinem Buch "Die Naturgeschichte des menschlichen Denkens". Der Leipziger Anthropologe und Primatenforscher sieht den evolutionären Sonderweg des Menschen in seinem auf Kooperation geprägten Sozialverhalten begründet. Denn um das Überleben der Sippe zu meistern, mussten die frühen Menschen lernen, aus verschiedenen Perspektiven und nicht nur aus ihrer individuellen Sicht die Umweltherausforderungen zu betrachten und wurden so zu einer kommunikativen und kooperativen Denk- und Lebensweise veranlasst. Was sich dann entsprechend im Gehirn niederschlug. Altruismus sollte so effektiv wie möglich sein, verlangt der australische Philosoph und Ethiker Peter Singer in seinem Buch "Effektiver Altruismus", das eine "Anleitung zum ethischen Leben" sein soll. Der Grundgedanke: "Wir wollten so viel Gutes tun wie möglich". Dazu untersucht Singer Prinzipien altruistischen Handelns und die Maximierung altruistischer Wirkung von Helfen, Spenden und Engagement. Viele Aspekte sind überzeugend, aber: Warum muss es jetzt auch beim Altruismus um die größtmögliche Zahl, Reichweite und Langwirkung und damit um eine ökonomische Kategorie gehen? Sympathisch ist, dass Singer auf viele Fragen keine unfehlbaren und endgültigen Antworten deklariert. In der Konfrontation altruistischer Liebe mit dem Leid des anderen prägt sich das Mitgefühl aus, schreibt Ricard. Es gehört zum Kern des Altruismus. Ein zentraler Aspekt ist dabei das Selbstmitgefühl, das der Psychologe und Psychotherapeut Andreas Knuf in "Sei nicht so hart zu dir selbst" eingehend und lebensnah darstellt. Selbstmitgefühl ist ein Ausgangspunkt für Mitgefühl, Mitgefühl ein Impuls und Ausdruck für altruistisches Verhalten. Beides verlangt Achtsamkeit – für sich selbst und andere. Wie kann Mitgefühl wirksam sein, fragen wir uns am heutigen Thementag. Ohne Mitgefühl keine Fairness. Stimmt das? Braucht es ein Selbstmitgefühl, um anderen mit Mitgefühl und Fairness zu begegnen? Muss man Nächstenliebe und Effizienz zusammendenken, wenn Mitgefühl und Fairness wirksam sein soll? Wird dabei nicht Wesentliches von Mitgefühl, Fairness und Nächstenliebe verraten? Können wir es uns noch leisten, Mitgefühl, Nächstenliebe und Fairness ohne Rücksicht auf wirtschaftliche Gesichtspunkte zu praktizieren? Was bedeutet das im Blick auf den Umgang mit Flüchtlingen, Bedürftigen und Menschen mit Handicap? Kurzvorträge von Prof. Dr.med. Luise Reddemann, Mitbegründerin der Traumatherapie, und von Dr. Olga Maria Klimecki-Lenz, Neurowissenschaftlerin, gaben Antworten auf diese Fragen, die im anschließenden Podiumsgespräch vertieft wurde. Am Nachmittag führte Jutta Schmidt M.A., Diplompädagogin und Philosophin mit Fortbildung in Analytischer Psychologie und Kunsttherapie, den Workshop mit kreativen Elementen und Möglichkeiten der Selbsterfahrung mit dem Titel "Mitfühlend fair sein - zu sich und anderen" durch. Er ging den Aspekten nach: Zu einem fairen Umgang miteinander gehört der gemeinsame Wille, sich in gleichberechtigter Weise darüber zu verständigen, was in einer bestimmten Situation oder Interaktion als fair gelten soll und was nicht. So weit, so schwierig. Aber wie steht es mit dem fairen Umgang sich selbst gegenüber? Woran erkenne ich, dass ich mich fair behandele – oder unfair zu mir bin? Und wie trage ich das mit mir aus? Was bedeutet es für meine Fairness zu anderen? Ein sehr streng gefasster Fairness-Begriff ist ebenso wenig hilfreich wie ein Fairness-Verständnis im Sinne von Nettsein. Hier das richtige Maß zu finden, erfordert Selbstreflexion und fördert das Selbstbewusstsein. Es macht unabhängig von Maßstäben anderer und gibt Orientierung für das eigene Handeln, Entscheiden und Verhalten. Aber macht es auch glücklich? Wie Mitgefühl diesen Prozess begleiten und eine wichtige Rolle für die richtige Balance dabei spielen kann, sollte in diesem Workshop erfahrbar werden.
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