Gesetzliche, straf-, zivil- und arbeitsrechtliche Grundlagen in Bezug auf Situationen unfairer Attacken
Leitsätze des Thüringer Landesarbeitsgerichts
mit Hinweisen auf relevante Gesetze
14 Leitsätze des Thüringer Landesarbeitsgerichts zur Verpflichtung des Arbeitgebers zu einer fairen Organisationskultur und zur Überwindung von Mobbing und anderen unfairen Attacken
- Der Arbeitgeber ist verpflichtet, das allgemeine Persönlichkeitsrecht der bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer nicht selbst durch Eingriffe in deren Persönlichkeits- oder Freiheitssphäre zu verletzen, diese vor Belästigungen durch Mitarbeiter oder Dritte, auf die er einen Einfluss hat, zu schützen, einen menschengerechten Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen und die Arbeitnehmerpersönlichkeit zu fördern. Zur Einhaltung dieser Pflichten kann der Arbeitgeber als Störer nicht nur dann in Anspruch genommen werden, wenn er selbst den Eingriff begeht oder steuert, sondern auch dann, wenn er es unterlässt, Maßnahmen zu ergreifen oder seinen Betrieb so zu organisieren, dass eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts ausgeschlossen wird.
- Eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers kann nicht nur im Totalentzug der Beschäftigung, sondern auch in einer nicht arbeitsvertragsgemäßen Beschäftigung liegen. Eine solche Rechtsverletzung liegt vor, wenn der Totalentzug oder die Zuweisung einer bestimmten Beschäftigung nicht bloß den Reflex einer rechtlich erlaubten Vorgehensweise darstellt, sondern diese Maßnahmen zielgerichtet als Mittel der Zermürbung eines Arbeitnehmers eingesetzt werden, um diesen selbst zur Aufgabe seines Arbeitsplatzes zu bringen.
- Aus dem Umstand, dass bloß für einen vorübergehenden Zeitraum in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers eingegriffen wird oder dem Arbeitnehmer dadurch keine finanziellen Nachteile entstehen, kann kein diesen Eingriff rechtfertigendes, überwiegendes schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers hergeleitet werden.
- Bei dem Begriff "Mobbing" handelt es sich nicht um einen eigenständigen juristischen Tatbestand. Die rechtliche Einordnung der unter diesen Begriff zusammenzufassenden Verhaltensweisen beurteilt sich ausschließlich danach, ob diese die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Rechtsvorschrift erfüllen, aus welcher sich die gewünschte Rechtsfolge herleiten lässt. Die juristische Bedeutung der durch den Begriff "Mobbing" gekennzeichneten Sachverhalte besteht darin, der Rechtsanwendung Verhaltensweisen zugänglich zu machen, die bei isolierter Betrachtung der einzelnen Handlungen die tatbestandlichen Voraussetzungen von Anspruchs-, Gestaltungs- und Abwehrrechten nicht oder nicht in einem der Tragweite des Falles angemessenen Umfang erfüllen können.
- Ob ein Fall von "Mobbing" vorliegt, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Dabei ist eine Abgrenzung zu dem im gesellschaftlichen Umgang im allgemeinen üblichen oder rechtlich erlaubten und deshalb hinzunehmenden Verhalten erforderlich. Im arbeitsrechtlichen Verständnis erfasst der Begriff des "Mobbing" fortgesetzte, aufeinander aufbauende oder ineinander übergreifende, der Anfeindung, Schikane oder Diskriminierung dienende Verhaltensweisen, die nach Art und Ablauf im Regelfall einer übergeordneten, von der Rechtsordnung nicht gedeckten Zielsetzung förderlich sind und jedenfalls in ihrer Gesamtheit das allgemeine Persönlichkeitsrecht oder andere ebenso geschützte Rechte, wie die Ehre oder die Gesundheit des Betroffenen verletzen. Ein vorgefasster Plan ist nicht erforderlich. Eine Fortsetzung des Verhaltens unter schlichter Ausnutzung der Gelegenheiten ist ausreichend. Zur rechtlich zutreffenden Einordnung kann dem Vorliegen von falltypischen Indiztatsachen (mobbingtypische Motivation des Täters, mobbingtypischer Geschehensablauf, mobbingtypische Veränderung des Gesundheitszustands des Opfers) eine ausschlaggebende Rolle zukommen, wenn eine Konnexität zu den von dem Betroffenen vorgebrachten Mobbinghandlungen besteht. Ein wechselseitiger Eskalationsprozess, der keine klare Täter-Opfer-Beziehung zulässt, steht regelmäßig der Annahme eines Mobbingsachverhaltes entgegen.
- Die vielfach dadurch entstehende Beweisnot des Betroffenen, dass dieser allein und ohne Zeugen Verhaltensweisen ausgesetzt ist, die in die Kategorie Mobbing einzustufen sind, ist durch eine Art 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und damit den Grundsätzen eines fairen und auf Waffengleichheit achtenden Verfahrens entsprechende Anwendung der §§ 286, 448, 141 Abs. 1 Satz 1 ZPO auszugleichen. Dabei muß die im Zweifel erforderliche Anhörung einer Partei bei der gerichtlichen Überzeugungsbildung berücksichtigt werden.
- Der für eine auf Erfüllung (Vornahme einer Handlung, Unterlassung) gerichteten einstweiligen Verfügung erforderliche Verfügungsgrund liegt vor, wenn ihr Nichterlass auf eine Rechtsschutzverweigerung hinauslaufen würde und das sich aus dem summarischen Charakter des einstweiligen Verfügungsverfahrens ergebende Fehlentscheidungsrisiko der Antragsgegner trägt.
- Die Auswahl des Rechtsschutzziels ist auch unter Geltung des im Verfahren der einstweiligen Verfügung die Anforderungen nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO erleichternden § 938 Abs. 1 ZPO nicht dem Gericht überlassen.
- Eine auf Feststellung gerichtete einstweilige Verfügung ist nur dann zulässig, wenn sie als Mittel des Rechtsschutzes nicht subsidiär ist und es völlig unzumutbar ist, den Antragsteller auf die Durchführung des Hauptverfahrens zu verweisen.
- Weder Parteizustellung noch Amtszustellung sind Maßnahmen der Vollziehung einer einstweiligen Verfügung im Sinne des § 929 Abs. 2 ZPO.
- § 929 Abs. 2 ZPO ist auch auf einstweilige Verfügungen anwendbar, die auf Unterlassung gerichtet sind.
- Die Vollziehung von Unterlassungstiteln beginnt mit der Androhung von Ordnungsmitteln nach § 890 Abs. 1 ZPO. Dies gilt auch dann, wenn die Androhung des Ordnungsmittels gemäß § 890 Abs. 2 ZPO bereits in dem Unterlassungstitel enthalten ist.
- Zur Wahrung der nach § 929 Abs. 2 ZPO einzuhaltenden Vollziehungsfrist reicht grundsätzlich der Antrag auf Vornahme von Vollstreckungsmaßnahmen aus. Ist dieser Antrag schon während des Erkenntnisverfahrens gestellt, um die von § 890 Abs. 2 ZPO vorgesehene Möglichkeit der bereits im Urteil erfolgenden Androhung von Ordnungsmitteln wahrzunehmen, dann wird dadurch die Vollziehungsfrist nicht gewahrt. Die Wahrung der Vollziehungsfrist einer durch Urteil ergangenen, die Androhung von Ordnungsmitteln enthaltenden einstweiligen Unterlassungsverfügung kann deshalb frühestens mit deren Amtszustellung erfolgen, wenn nicht ausnahmsweise nach § 929 Abs. 3 ZPO hierfür bereits die Urteilsverkündung ausreicht.
- Zur Erledigung einer auf Unterlassung gerichteten, zeitlich befristeten einstweiligen Verfügung und des hierüber geführten Rechtsmittelverfahrens durch Zeitablauf in der Rechtsmittelinstanz.
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Entscheidungsrelevante Vorschriften:
Art. 6 Abs. 1 EMRK; Art 1 und 2 GG; §§ 242, 611 BGB; §§ 12, 862, 1004 BGB analog; §§ 141 Abs. 1, 253 Abs. 2 Nr. 2, 286 Abs. 1, 890 Abs. 1 und 2, 927 Abs. 1, 928, 929 Abs. 2 und 3, 935, 936, 938 Abs. 1, 940 ZPO; §§ 12, 13 Abs. 2 BAT
Aktenzeichen des Urteils vom 10.4.01: 5 Sa 403/00 und 2 Ga 8/2000
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