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Dr. med. Mario Gmür Das Einzige, was interessiert, ist die FallhöheGestatten Sie mir, dass ich zunächst von der mir zugestandenen Redezeit von 12 Minuten, deren 1 ½ Minuten dem verstorbenen österreichischen Schriftsteller Thomas Bernhard überlasse. Er hat unter dem Titel „Fast“ eine Kurzgeschichte, ja sogar nur eine Kürzestgeschichte, verfasst, die sich wie ein medienkritischer Beitrag zu meinem Vortragstitel „Das Einzige, was interessiert, ist die Fallhöhe“ anhört. „Auf unserem letzten Ausflug in das Mölltal, in welchem wir, gleich in welcher Jahreszeit, immer glücklich gewesen sind, haben wir uns in einem Wirtshaus in Obervellach, das uns von einem Arzt aus Linz empfohlen worden war und das uns nicht enttäuscht hatte, mit einer Gruppe von Steinmetzgehilfen unterhalten, die nach Feierabend in dem Wirtshaus zusammengesessen sind und Zither gespielt und gesungen und uns auf diese Weise wieder auf die unerschöpflichen Schätze der Kärntner Volksmusik aufmerksam gemacht haben. Zu vorgerückter Stunde hatte sich die Steinmetzgehilfengruppe an unseren Tisch gesetzt und jeder einzelne aus ihr hat etwas Merkwürdiges oder etwas Denkwürdiges aus seinem Leben zum besten gegeben. Dabei ist uns besonders jener Steinmetzgehilfe aufgefallen, der berichtet hat, dass er mit siebzehn Jahren, um eine mit einem Arbeitskollegen abgeschlossene Wette zu gewinnen, auf die bekanntlich sehr hohe Kirchturmspitze in Tamsweg gestiegen ist. Fast wäre ich tödlich abgestürzt, hat der Steinmetzgehilfe gesagt und er betonte darauf ausdrücklich, dass er dadurch fast in die Zeitung gekommen wäre.“ In die Zeitung kommen, auf den Bildschirm, ins Rampenlicht der Oeffentlichkeit - das ist der Traum vieler Menschen. Und offenbar nimmt mancher dafür sogar seinen eigenen Tod in Kauf. Nach dem Motto: „Lieber tot und ein bisschen berühmt als lebendig und völlig unbekannt“. Andy Warhols berühmtem Diktum, dass jeder Mensch in seinem Leben das Recht auf 15 Minuten Bildschirmpräsenz habe, ist da durchaus eine gewisse unfall- oder suizidpräventive Wirkung zuzubilligen. „Das Einzige, was interessiert, ist die Fallhöhe“ - dieses Leitmotiv steht aber nicht nur für die Mentali-tät des Kleinbürgers, der einige Brosamen von Grandiosität erhaschen will, sondern auch für jene, welche heute den Betrieb einer Medienwelt immer mehr beherrscht, die ihre Berichte und Kommentare nach ihrem Sensationswert produziert. Die Medien übernehmen dabei immer mehr die Rolle, die beiden ältesten Laster der Menschheit, Zeigelust und Gafflust, zusammen zu führen, Exhibitionisten und Voyeuristen. Das ist ihr Vermittlungsgeschäft. Die Steigerung von Auflageziffern und Einschalt-quoten ist das vorrangige Ziel, die Profitmaximierung. Seit den Fünfziger-/Sechzigerjahren hat sich der Stil der Medien deutlich gewandelt. Damals war der Habitus journalistischer Expressivität steif, bieder und brav. Seither ist eine Versinnlichung der Publizistik eingetreten. Dagegen wäre zunächst noch nichts einzuwenden. Sie ging aber einher mit einer zunehmenden Entsachlichung und Entpolitisierung. Gefühlsstimulation statt fachgerechter Information, Dramatisierung und sogar Inszenierung kennzeichnen die Medienerzeugnisse. In diesen herrschen folgende Methoden vor:
Um die Sensationsgier der Käufer zu stimulieren und zu befriedigen, werden bevorzugt Themen behandelt wie Gewalt, Inzest, Kunstfehler, Sexskandale, Ehebruch, Bestechungsaffären, Bedrohungssituationen, Unglücksfälle und Verbrechen. Massgebend bei der Themenwahl ist, dass diese gefühlstauglich sind, zu Spannungserzeugung geeignet durch Erzähldynamik und Bildmaterial. So sind die Medien also vorwiegend auf dramaturgische Effekte festgelegt. Ihre Täter und Opfer sind oftmals Figuren eines moralischen Lehrstücks mit Einzelstückverträgen oder saisonalen Vertragsbindungen, ähnlich wie für Schauspieler an einem Theater. Die aggressiv-verletzende und blossstellende Publizistik ruft seelische Verletzungen hervor. Sie schafft Medienopfer. Nach pragmatischen Gesichtspunkten lassen sich folgende Opferkategorien unterscheiden:
Bei den Opfern aggressiver und blossstellender Publizistik bildet sich oft ein sog. Medienopfersyndrom (MOS) heraus. Im Unterschied zu physisch-existenziellen Formen der Bedrohung (wie bei Unfällen, Ueberfällen, Geiselnahmen, Vergewaltigungen und andern Delikten) steht hier die soziale Bedrohung im Vordergrund. Neben allgemeinen Symptomen wie depressiv-ängstliche Verstimmung, innere Unruhe, Erregbarkeit, Schlaflosigkeit, vegetative Beschwerden, entstehen auch spezifische Symptome:
Die Ursachen dieses Medienopfersyndroms liegen vor allem in folgenden drei Konstellationen be-gründet:
Die Beziehung des Einzelnen zu den Medien ist eine David gegen Goliath-Situation. Wie kann sich das Individuum vor der Uebermacht der Oeffentlichkeit und ihrer Repräsentanten schützen? Welche Strategien sind hier erfolgversprechend? Diese Frage wäre zweifellos das Thema für ein ausführliches Referat, ja für ein ganzes Symposium. Sie könnte in der mir zugestandenen begrenzten Zeit nur ober-flächlich abgehandelt und beantwortet werden. Kehren wir aber abschliessend nochmals zurück zu Thomas Bernhard, zu seiner Kürzestgeschichte über die Steinmetzgehilfen. Diese liesse sich ohne weiteres zu einer Moral zuspitzen. Und diese wäre: Geh nie eine Wette ein, auf die Spitze eines Kirchturms zu steigen. Lässt sich diese Wette aber nicht vermeiden, achte darauf, dass du nur fast abstürzest und nur fast in die Zeitung kommst. Ich wünsche Ihnen allen eine gute Zusammenarbeit mit den Medien und ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. |